Offener Brief der NABU-Gruppe Nehren und der Bezirksgeschäftsstelle Neckar-Alb
Vier Wochen ist es her, dass die mehr als 80-Baum-starke Pappelallee
in Nehren gerodet wurde. Radio und Printpresse berichteten.
Dabei ist uns als Naturverband - und als NABU im Speziellen - Einiges „sauer aufgestoßen“, das wir
im folgenden Brief betiteln und richtigstellen möchten.
Seit über 60 Jahren säumte die Hybrid-Pappelallee auf etwa 130 Metern einseitig den Feldweg
hinter dem Schützenhaus, von der Wegzweigung bis zum Firstwaldrand. Zum Weg hin umrandet
von einer dichten Hecke, die allerhand Tieren Unterschlupf bot.
Zeitliche Einordnung der Ereignisse:
- Am 25.1.2023 fand laut Gemeindeangaben eine Begehung der Pappelallee mit Verwaltung, Unterer Naturschutzbehörde, Naturschutzbeauftragtem und dem zuständigen Förster an der „Pfäffin“ statt. Vor Ort beschloss man ohne Beratung mit den Naturverbänden oder anderen gemeindeeigenen Gremien wie dem AK Natur und Umwelt oder zumindest dem Gemeinderat, der ebenfalls nicht informiert war, die unmittelbare Fällung der Bäume.
- Zwei Tage später, am Donnerstag den 27.1., erreichte die NABU-Gruppe eine Nachricht, dass die über 80 Bäume binnen kurzer Zeit abgeholzt werden sollen. Angesetzt auf den Montag der Folgewoche, dem 30.01., wurden die Naturschützenden vor vollendete Tatsachen gestellt.
- Erst nach Protest aus Reihen des NABU und anderer Bürgerinnen rief die Gemeinde den 30.1. als Rodungstermin zurück. Dies erforderte schnelles Handeln seitens der ehrenamtlichen Naturschützer.
- Zudem hatte sich ein engagierter Bürger an das Verwaltungsgericht in Sigmaringen gewandt. Das Gericht ordnete daraufhin ein Fäll-Stopp an, gab den Vorgang später aber wieder frei.
- Noch in derselben Woche, in der die Bäume hätten fallen sollen, fand nun auf Druck der Naturschützenden ein Treffen vor Ort statt. Hierbei am 3.2. anwesend: Herr Bürgermeister Betz, der Bauhofleiter, der Förster und der gemeindeeigene Arbeitskreis Natur und Umwelt, dem die NABU-Gruppe ebenfalls angehört und der nun auch geladen war. Das Schwäbische Tagblatt schrieb am 7.2. dazu:
„Am Freitag [3.2.] nahm er [BM Betz] an einer nicht-öffentlichen Führung noch den Arbeitskreis Natur und Umwelt (AK) mit ins Boot. Nach seiner Presseerklärung waren dann alle einverstanden mit der Fällaktion.“
- Am 8.2. zitiert der GEA Herrn BM Betz
„Aus Rücksicht auf den Naturschutz musste die Fällung noch im Februar erfolgen.“
- Weiter greift der Artikel das Zitat des Bürgers auf, der sich nach Sigmaringen gewandt hatte: „Die Umleitung der bestehenden Wanderwege sei sonst auch eine Alternative“, schlägt dieser vor.
An dieser Stelle möchten wir ansetzen:
Denn zum einen waren im Anschluss an die nicht-öffentliche Führung ganz und gar nicht „alle einverstanden mit der Fällaktion“ und die Fällaktion hätte durchaus verschoben werden können, indem beispielsweise kurzfristig durch Absperrung der Wegabschnitt gesichert wird.
Als Begründung für die rasche Ausführung der massiven Baumrodungen führte die Gemeinde die Verkehrssicherung an, die aufgrund Astbruchgefahr nicht gewährleistet sei.
Wenn eine akute Gefahr für Menschenleben erkannt wurde, muss und sollte ein Grundstückseigentümer entsprechende Handlungen unternehmen, um diese Gefahr abzuwenden. Niemand, kein NABU Naturschützer, möchte, dass sich jemand verletzt. Dass die Gemeinde als Eigentümerin tätig wird, wenn sie eine Gefahr erkennt, ist nachvollziehbar und wünschenswert. Dann sind Mensch und potenzieller Gefahrenbereich voneinander zu trennen.
Dies ist jedoch – besonders, wenn es sich nicht um eine vielfrequentierte Stelle im Innenstadtbereich handelt – durchaus anders zu bewerkstelligen, als mit einer sofortigen Komplettrodung.
In der offenen Landschaft, noch dazu auf Flächen, die sich allesamt in Gemeindeeigentum befinden, ist es möglich eine temporäre Sperrung vorzunehmen und die Wegeführung zumindest zeitweise aus dem Gefahrenbereich zu lenken. Die so gewonnene Zeit hätte zur Besprechung und Abwägung des Sachverhalts genutzt werden können.
Ob man sich nun für oder gegen den Erhalt der Pappelallee ausspricht, es ist jedenfalls die Art und Weise gewesen, wie die Gemeinde, allen voran Herr BM Betz hier vorgegangen ist, die uns als Naturschützende betroffen macht und enttäuscht.
Denn auch wir Naturschützerinnen und Naturschützer, Ehrenamtliche, Hauptamtliche, Nehrener NABUs und andere engagierte Naturfreunde, sind uns nicht immer einig. Auch wir wissen, dass die Welt nicht in „schwarz und weiß“ zu sehen ist und wissen um die Argumente für und wider eines Sachverhalts. Dabei kommen wir häufig bei ähnlichen Sichtweisen an und manchmal bei unterschiedlichen Meinungen.
Dabei gäbe es gute Gründe Bäume als Biotop zu erhalten.
Oft genug passiert es, dass Großgehölze nach Jahren und Jahrzehnten der Nichtbeachtung plötzlich in den Fokus rücken, da sie eine Gefahr darstellten. Und sicherlich fußen solche Einschätzungen auf fachlichen Tatsachen, wenn entsprechende Baumkontrollen oder Gutachten gemacht wurden. Ob die Pappelallee regelmäßig auf Schäden, auch Pilzbefall, kontrolliert wurde, entzieht sich unserer Kenntnis.
Dass ein besonders gefräßiger Baumpilz nach einigen Wochen in der Lage ist, sein Wirtsgehölz in die Knie zu zwingen, ist bekannt. So kann es sehr schnell gehen, oder andernfalls sehr langsam. Bäume können noch Jahre stehen bleiben, wenn sie innen bereits fast hohl gefressen sind, ihre Holzfasern vom Pilz zersetzt. Jedoch ist die Standsicherheit dann besonders zu prüfen. Es empfiehlt sich zudem Mensch und Baum vorsichthalber auf Abstand zu halten.
Ein Baum, der Baumhöhlen ausbildet – bespielweise als Resultat eines Pilzbefalls -, der einen Lebensraum auf mehreren Stockwerken bietet, ist ein vielfältiges Biotop in sich. Aus Naturschutzsicht, für Tiere und andere Organismen, eine eigene Welt.
Und auch wenn Äste und Krone gekappt werden, der Stamm noch ein paar Meter hoch stehen bleiben darf, entwickelt sich das Biotop Baum weiter. Selbst nachdem der Stamm gerodet wird, kann er senkrecht stehend noch gelagert werden, dann können sich jene Organismen, die sich aktiv oder passiv im Stamm befinden, sich daran nähren, ihn brauchen, weiter entwickeln. Doch weder ließ man Stammtorsi stehen, noch wurden die abgenommenen Stämme senkrecht gelagert.
Ob die Bäume nun hätten teilweise bleiben sollen, oder nicht: Es hätte zumindest andere, kommunikationsstärkere, kompromissbereitere Wege gegeben diesen Sachverhalt anzugehen
Die NABU-Gruppe wurde in den Prozess der Abwägung von Alternativen genauso wenig einbezogen wie der AK Natur und Umwelt. So wurden aus dem Verein lautende Gegenargumente, anhand derer ein Aufschub der Fällmaßnahme und eine anschließende Anstrebung von ökologischen und rechtlichen Kompromisslösungen gerechtfertigt gewesen wäre, nicht gehört. Unzufrieden sind NABU Gruppe und -Bezirksstelle insbesonders mit dem Vorgang des Geschehens und der Radikalität im Umgang mit dem über die letzten sechs Jahrzehnte gewachsenen Biotop. Denn ganz konkret ging es bei der Maßnahme um die Zerstörung eines Lebensraumes. Selbst wenn rechtlich keine Notwendigkeit zur Beratung bestanden hat, wäre es doch ein Gebot der Kooperation gewesen, hier den Kontakt zu suchen, ehe Tatsachen geschaffen werden.
Alsbald wir Kenntnis bekamen, haben wir also reagiert und alle Hebel in Bewegung gesetzt um die akute Fällaktion zu verhindern, indem das Gespräch zur Gemeinde gesucht wurde. Wir hätten uns gewünscht, dass sich der Gemeindevorstand mindestens so Kooperations- und Kommunikationsbereit zeigt, wie es beispielsweise der Förster tat.
Den plausiblen Grund von verwaltungsrechtlichen Haftungsbedenken hätte die NABU-Gruppe zeitverschoben akzeptiert. Angesichts der abgeschiedenen Lage und der Möglichkeit einer temporären Umlenkung des Besucherverkehrs, hätte eine bessere ökologische Lösung unter gemeinsamer Beratschlagung erarbeitet werden können. Das abrupte Abholzen hingegen hat Schaden bewirkt, der sich langfristig zeigen wird, auch wenn die Gemeinde hier Ausgleichsmaßnahmen verspricht. Das hierfür angesetzte Budget liegt allerdings weit unter dem im Katastrophenfall der Pappelpflege angesetzten Betrag.
Der NABU begrüßt insofern die anvisierten Maßnahmen der Gemeinde, hier Schadensbegrenzung zu erwirken, indem ein Heckenstreifen, eine Totholzregion, eine Reptilienburg und ein erweiterter Krautsaum angelegt werden soll. Der NABU erklärt sich trotz der Gesamtvorgangslage bereit, hier fachlich beratend zu unterstützen. Wir werden uns auch weiterhin für die Nehrener Natur einsetzen, weil es uns ein Herzensanliegen ist.
Nehren, 13. März 2023
Gez. die NABU-Gruppe Nehren, der Vorstand Werner Dürr, Herbert Knoll, Thomas Klett
und die NABU-Bezirksgeschäftsstelle Neckar-Alb, Tamara Ayoub
Bilder: Tamara Ayoub